Stay Forever

Transkript

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Chris: Diese Musik kennt jeder, der das deutsche Rollenspiel Gothic aus dem Jahr 2001 gespielt hat.

Chris: Die Kriegstrommeln, die tiefen Bläser, diese Melodie, die sich zu einem kurzen

Chris: Moment des heldenhaften Trotzes hervorarbeitet, nur um sofort wieder im dunklen

Chris: Dreuen zu verschwinden.

Chris: Es ist die Musik, die im Titelbildschirm läuft und sie sagt,

Chris: das, was vor dir liegt, ist abenteuerlich, aber vor allem ist es bedrohlich und ungewiss.

Chris: Es ist das markanteste Stück eines Soundtracks, der sich ab dann zurücknehmen

Chris: wird, um das zu tun, was nun mal die Rolle eines Soundtracks ist, sein Spiel zu tragen.

Chris: Ein Soundtrack, der maßgeblich zur einzigartigen Atmosphäre von Gothic beiträgt,

Chris: gerade weil er weitgehend auf einprägsame Melodien verzichtet,

Chris: der aber trotzdem in Erinnerung bleibt, vielleicht eher im Herzen als im Kopf.

Chris: Aber wie genau macht dieser Gothic-Soundtrack das eigentlich? Wie ist er entstanden?

Chris: Davon wird uns der Mann erzählen, der diese Musik geschrieben hat, Kai Rosenkranz.

Chris: Der eigentlich gar keine Musik machen wollte, der dann bei Piranha Bytes mit

Chris: einem sehr ungeliebten Werkzeug arbeiten musste, das aber dazu geführt hat,

Chris: dass jeder von uns einen anderen Gothic-Soundtrack hört.

Chris: Bei der Produktion musste Kai harte Lektionen lernen und viel improvisieren,

Chris: aber er hat anschließend eine Karriere auf diesem Debüt-Musikwerk aufgebaut.

Chris: Das ist die Musik von Gothic.

Chris: Wir beginnen den Weg hin zu Gothic

Chris: in Kais Kindheit, denn dort beginnt zunächst mal sein Weg zur Musik.

Kai: Also Berührungspunkte mit Musik habe ich schon mein ganzes Leben,

Kai: weil meine Eltern beide musikalisch interessiert sind.

Kai: Man kann sich die beiden wie so ein Hippie-Pärchen vorstellen.

Kai: Mein Papa Gitarre, meine Mutter Gesang, auch entsprechend gekleidet.

Kai: Das habe ich natürlich ein paar Mal mitbekommen.

Kai: Also meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch relativ jung war,

Kai: aber ich habe es noch mitbekommen. und es ist danach auch noch weitergeführt worden.

Kai: Also mein Papa hat immer das Zimmer voller Instrumente gehabt,

Kai: wenn ich dann bei ihm war und wir haben zusammen Musik gemacht und meine Mutter genauso.

Kai: Ich habe dann mein eigenes Keyboard irgendwann bekommen, so ein altes Casio-Keyboard.

Kai: Und mein Zugang zu Musik war, das Keyboard stand halt in meinem Zimmer,

Kai: genauso wie die anderen Instrumente in unserer Wohnung irgendwie sich nicht

Kai: aufgedrängt haben, sie mir auch nicht aufgedrängt wurden, aber sie waren halt

Kai: da, sie standen zur Verfügung.

Kai: Und im freien Spiel, wo ich mir meine Zeit einteilen und sie für mich nutzen

Kai: konnte, waren diese Instrumente genauso da wie die Fischer-Technik-Box und dann irgendwann der C64.

Kai: Das heißt, ich habe halt immer wieder dann einfach die Nähe gesucht zu diesem

Kai: Instrument. Habe es angemacht, habe rumexperimentiert.

Kai: Ich hatte aber keinen Klavierlehrer oder sowas, das kam dann erst später,

Kai: sondern ich habe mich ganz natürlich und ganz intuitiv mit diesem Instrument auseinandergesetzt.

Kai: Und das ist so peu à peu für mich auf meine Weise und auf, heute würde man sagen,

Kai: völlig falsche, in großen Anführungsstrichen, Weisen für mich erobert.

Chris: Irgendwann merkt Kais Mutter, dass ihr Sohn Interesse an Musik und Talent dafür

Chris: hat, dass er anfängt, eigene Musikstücke zu schreiben.

Chris: Und dann tut sie das, was Eltern in solchen Fällen nun mal machen.

Chris: Sie meldet ihn zum Klavierunterricht an.

Kai: Dann habe ich, glaube ich, vor meinem zehnten Lebensjahr an Klavierunterricht gehabt.

Kai: Allerdings nicht lange, weil mein Klavierlehrer, der war wirklich gut,

Kai: aber der hat halt einen ganz anderen Ansatz gehabt.

Kai: Der hat gesagt, okay, wir müssen jetzt erstmal die theoretische Grundlage schaffen.

Kai: Und so wie du das machst, macht man das eigentlich nicht. Man macht die Finger

Kai: anders und hier, das ist ein Notenblatt. Und guck mal, das sind Noten,

Kai: das kennst du ja vielleicht.

Kai: Der hat mich dann immer dabei ertappt, wie ich freigespielt habe und nur so

Kai: zu ziert auf das Notenblatt geguckt habe. und dann auch irgendwann mal nicht

Kai: gemerkt habe, dass ich schon längst hätte umblättern müssen.

Kai: Und dann haben wir irgendwann gemerkt, dass wir einfach nicht zusammenpassen.

Kai: Oder er hat es gemerkt und ich habe ihm zugestimmt.

Chris: Nach rund eineinhalb Jahren ist das Abenteuer Klavierunterricht wieder vorbei.

Chris: Kai macht autodidaktisch weiter. Er bringt sich alles Weitere selbst bei.

Chris: Doch da gibt es noch eine zweite Leidenschaft in seinem Leben,

Chris: die sich schnell als noch prägender herausstellt.

Chris: So prägend, dass er früh für sich beschließt, dass dorthin sein Lebensweg führen soll.

Kai: Also ich habe auf jeden Fall schon sehr früh gemerkt, dass ich was mit Games machen möchte.

Kai: Deswegen habe ich im privaten Rahmen schon damit angefangen,

Kai: Habe eigene kleine Projekte gemacht, habe eigentlich schon, sobald ich meinen

Kai: C64 mit sieben Jahren bekommen habe, angefangen mit dem darauf ja vorhandenen

Kai: Basic auseinanderzusetzen und habe dann,

Kai: ich glaube, ich war 15 und mein Companion war 18.

Kai: Wir haben dann eine kleine eigene Softwarefirma gegründet, die MediArt GmbH

Kai: und haben neben Bürosoftware spannenderweise, um uns quasi finanziell über Wasser

Kai: zu halten, dann auch kleine Spiele entwickelt.

Kai: Mein erstes Computerspiel, kann man eigentlich gar nicht so nennen,

Kai: war ein Tamagotchi-Clone. Cybergotchi hieß das damals.

Kai: Und dann habe ich angefangen, mein erstes größeres Spiel zu entwickeln, nämlich Subworld.

Kai: Das ist quasi so ein Unterwasser-Komane-Kanker gewesen, wenn man sich das so vorstellen möchte.

Kai: Darauf aufbauend hat sich der Entschluss gefestigt, gerne in die Games-Branche gehen zu wollen.

Kai: Und dann habe ich gesagt, ich möchte eigentlich gerne mal ein paar Studios besuchen.

Kai: Und da kam dann eben auch der Kontakt zu Piranha Bytes zustande.

Kai: Weil ich in einem Artikel gelesen habe, das Bochumer Entwicklerstudio arbeitet

Kai: an einem Rollenspiel und ich bin selber Bochumer, habe in Bochum gewohnt,

Kai: habe dann angerufen, habe den fantastischen Tom Putzki am Telefon gehabt und

Kai: kurz danach haben wir uns dann auch schon persönlich getroffen.

Chris: Tom Putzki ist einer der vier Gründer von Piranha Bytes, das im Jahr 1997 entsteht

Chris: und dann anfängt, am Rollenspiel Gothic zu arbeiten.

Chris: Als Kai Ende 1997 bei Piranha Bytes anklopft, ist er 17 Jahre alt,

Chris: geht noch aufs Gymnasium, hat noch zwei Jahre vor sich bis zum Abitur und hat

Chris: eigentlich gar nicht Musik im Kopf.

Chris: Bei diesem Projekt Subworld ist ein Freund für den Sound zuständig.

Chris: Kai kümmert sich um die Programmierung und die Grafik. In die Richtung soll

Chris: es seiner Vorstellung nach auch weitergehen. Aber dann kommt es ganz anders.

Kai: Das heißt, ich hatte Tom am Telefon und habe gesagt, darf ich euch mal für einen Tag besuchen?

Kai: Weil ich möchte mich festlegen und ich habe auch hier zu Hause so ein paar Kämpfe

Kai: mit meinen Eltern auszufechten, ob jetzt die Games-Branche wirklich das Richtige für mich ist.

Kai: Ich möchte es jetzt mal wissen. Ich war ja auch bei Blue Byte in Mühlheim und

Kai: ich war eben dann auch bei Piranha Bytes für diesen Besuchstag.

Kai: Da hat sich dann im Gespräch herausgestellt, der macht das, der macht das.

Kai: Für Audio haben wir noch niemanden.

Kai: Und ich habe dann erst gesagt, okay, ich könnte ja mal meine Sachen vorbeibringen,

Kai: die ich so gemacht habe bisher.

Kai: Vielleicht kann ich mich ja irgendwie mit einbringen. Und bin dann nochmal hingekommen

Kai: und habe meine ganzen Materialien mitgebracht. Aber auch Sachen an Musik.

Kai: Dann habe ich extra für diesen Termin auch noch so ein paar Sachen eingespielt

Kai: zu Hause und habe die noch mitgenommen.

Kai: Und dann haben sie gesagt, okay, das sieht als Gesamtpaket interessant aus.

Kai: Dann habe ich erst mal so ein halbes Jahr, war, glaube ich, so eine Probevereinbarung

Kai: mit denen unterzeichnet.

Kai: Und dann bin ich halt in die tatsächliche Selbstständigkeit,

Kai: also habe einen Honorarvertrag bekommen und bin dann offizielles Mitglied von Piranha Bytes gewesen.

Chris: Das war dann im Jahr 1998. Zu dem Zeitpunkt arbeitet Kai von zu Hause aus,

Chris: denn in den Büros von Piranha Bytes ist gar kein Platz für ihn.

Chris: Die vier Gründer teilen sich einen kleinen Raum in der Nähe des Bochumer Stadtparks.

Chris: Erst als das Studio 1999 nach Bochum-Wattenscheid umzieht, bekommt auch Kai dort ein eigenes Büro.

Chris: Das Team von Piranha Bytes hat schon früh eine Vorstellung davon,

Chris: was ihr Spiel werden soll und vor allem, wie es sich anfühlen soll.

Chris: Kai erhält nun die Aufgabe, das in Musik zu übersetzen.

Chris: Dafür bekommt er vom kreativen Leiter des Teams, von Mike Hoge, freie Hand.

Kai: Also es gab keine inhaltlichen Vorgaben, die auf der Ebene der Musik oder in

Kai: der Sprache der Musik formuliert waren.

Kai: Also sowas wie, mach das mal in Moll und in 140 BPM oder sowas.

Kai: Auf der Ebene wurde überhaupt nicht kommuniziert, sondern es wurde,

Kai: was mir sehr entgegenkam, eigentlich auf der Ebene der Emotionalität kommuniziert.

Kai: Das und das ist das Gefühl, das erreicht werden soll.

Kai: Oder einfach so Hintergrundinformationen. Wenn es jetzt um die Musik im Anfangsgebiet

Kai: ging, Kai, da ist ein Charakter, der heißt Diego.

Kai: Mit dem redest du, während die Musik im Hintergrund läuft. Und der ist eigentlich

Kai: ein freundlicher Charakter.

Kai: Also kann die Musik so ein bisschen ambivalent sein. Sie soll die Düsterheit

Kai: und die Unwirklichkeit der Welt tragen und transportieren,

Kai: aber auch so ein bisschen dich an die Hand nehmen, im Sinne von,

Kai: guck mal, hier ist ein Licht in dieser dunklen Welt, das bringt dich jetzt erstmal

Kai: zum alten Lager und das ist der Diego.

Kai: Also auf der Ebene wurde kommuniziert und die Übersetzung in Musik lag dann aber komplett bei mir.

Chris: Kai kommt das sehr entgegen, denn er hat eine spezielle Art zu komponieren,

Chris: die daraus entstanden ist, wie er sich in seiner Kindheit und Jugend die Musik

Chris: selbst erschlossen hat.

Kai: Ich habe einen emotionalen, intuitiven Zugang zur Musik Und das hilft mir gerade total,

Kai: weil ich immer wieder in Situationen bin, wo ich anhand von wenigen Concept

Kai: Arts oder einer rudimentären 3D-Landschaft eine Location spüren können muss

Kai: und dann irgendwie in Musik übersetzen können muss.

Kai: Auch ohne, dass es jetzt schon wirklich was Spürbares gibt.

Kai: Und dann einfach zu sagen, ich mache die Augen zu und mein Körper,

Kai: also meine Hände sprechen jetzt Musik quasi als zweite Muttersprache, wenn du so willst.

Kai: Und dann passiert irgendwas auf den Tasten, was ich selber nicht so genau erklären kann.

Kai: Und dann kann ich das wiederum analysieren, ob das jetzt die gleiche emotionale

Kai: Aussage hat wie das, was ich in diesem Bildmaterial sehe.

Kai: Und dann nehme ich das auf und habe eine erste musikalische Idee.

Kai: Und diese andere Herangehensweise, das jetzt über Musiktheorie und Noten und

Kai: Harmonielehre zu machen, würde für mich, glaube ich, einfach nicht funktionieren,

Kai: weil es mich nicht interessiert.

Kai: Also da bin ich nicht intrinsisch interessiert dran und könnte das dementsprechend

Kai: auch nie so als kreativen Fluss erleben, der einfach in die richtige Richtung strömt.

Chris: Nun gibt es da aber ein Problem. Kai ist in einer Zeit in die Spielebranche

Chris: eingestiegen, in der es noch eine technische Herausforderung ist,

Chris: Musik in so ein Spiel reinzukriegen.

Chris: Ja, zu dem Zeitpunkt kommen die Spiele schon auf CD-ROMs, aber das heißt noch

Chris: nicht unbedingt, dass man einfach komplette Stücke als Datei auf den Datenträger

Chris: ablegen kann, allein schon aus Platzgründen,

Chris: aber zumal dann nicht, wenn die Musik dynamisch sein soll, also wenn sie auf

Chris: das reagieren soll, was im Spiel passiert.

Chris: Und so soll das bei Gothic sein.

Chris: Piranha Bytes hat sich auch schon für eine Lösung entschieden,

Chris: für ein Tool, das bereits im Markt existiert und das praktischerweise auch nichts kostet.

Chris: Und so wird Kai vor vollendete Tatsachen gestellt.

Kai: Gewohnt war ich es ja, von mir am Klavier erstmal anzufangen und dann in meiner

Kai: gewohnten Musiksoftware in Cubase, das dann einfach aufzunehmen und dann zu arrangieren.

Kai: Aber die Musik für Gothic wurde mit dem Direct Music Producer gemacht.

Kai: Ein Tool, was von Microsoft irgendwann mal für Direct Music,

Kai: also ein Teil von DirectX gewesen zu dem Zeitpunkt, hergestellt wurde für dieses

Kai: Thema interaktive Musik.

Kai: Das war neu, das hat überhaupt nicht gut funktioniert, aber es war halt das

Kai: Tool der Wahl jetzt für den Gothic-Soundtrack.

Kai: Beim Direct Music Producer ist es quasi so wie Musik programmieren.

Kai: Da wird Musiklogik eigentlich hinterlegt. Wie verhält sich die Musik,

Kai: wenn im Spiel das und das passiert?

Kai: Das heißt, man gibt es als Noten ein für jedes einzelne Instrument und es wird

Kai: dann live von dem Direct Music Producer während des Spiels performt.

Kai: Jede einzelne Violinennote, jede einzelne Bläsernote ist quasi nur als Notenmaterial

Kai: in dem Direct Music Producer hinterlegt, als MIDI-Daten.

Kai: Und dann gibt es dieses virtuelle Orchester, das mit dem Spiel mit ausgeliefert

Kai: wird, als einzelne Audiodateien und im Spiel wird es dann live performt.

Kai: Das, was man heutzutage in seiner Musik-Workstation macht, in seiner DAW,

Kai: Digital Audio Workstation, und dann wird das rausgerendert als Audiodatei,

Kai: dann kann man da noch ganz viel Polishing dran machen und dann hat man ein schönes Musikstück.

Kai: Das gab es zu dem Zeitpunkt nicht, also zumindest nicht im Direct Music Producer,

Kai: sondern das wurde halt live performt Und dementsprechend hatten wir auch nur

Kai: die Möglichkeiten, die der Direct Music Producer bietet für sowas wie Mixing

Kai: und Mastering und Hall-Effekte.

Kai: Das waren alles Sachen, wo der Direct Music Producer einfach so eine erste Iteration

Kai: von allem hatte, aber eben noch nicht richtig ausgearbeitet.

Kai: Und es hat alles nicht so richtig funktioniert.

Chris: Kai improvisiert also am Klavier Melodien und Harmonien und dann muss er sie

Chris: in Puzzleteile zerlegen und in die Sprache des Direct Music Producer herunterbrechen,

Chris: als digitales Regelwerk, aus dem sich Musikstücke zusammensetzen.

Chris: Im Spiel geschieht dieses Zusammensetzen

Chris: dann dynamisch, vom Zufall beeinflusst, immer wieder anders.

Chris: Um das besser nachvollziehen zu können, haben wir Kai gebeten,

Chris: uns anhand seiner Musik zu erklären, wie genau das funktioniert,

Chris: welche Gedanken hinter der Musik stecken und wie sich das Stück dann zusammensetzt.

Chris: Er hat sich drei der zentralen Musikstücke aus dem Gothic-Soundtrack ausgesucht

Chris: und für uns kommentiert.

Chris: Und wir beginnen natürlich mit der Musik des Minentals.

Kai: Die Hintergrundmusik für das Minenteil selbst, außerhalb von Lagern oder besonderen

Kai: Locations, ist eines der ersten Musikstücke, von denen man in Gothic überhaupt begrüßt wird.

Kai: Und das hier ist der wiedererkennbare Anfang dieses Musikstücks.

Kai: Wir können das Musikthema auch gleich nochmal komplett anhören,

Kai: aber vielleicht macht es Sinn, euch jetzt erstmal was über meine Gedanken dazu

Kai: zu erzählen, damit ihr diese dann später beim Anhören des Songs vielleicht auch wiedererkennen könnt.

Kai: Und ich beginne ja beim Komponieren immer damit, mir über die Emotionen Gedanken

Kai: zu machen, die ein Musikstück bei Spielerinnen und Spielern auslösen soll.

Kai: Und dieses Musikstück repräsentiert die Minenkolonie als Ganzes.

Kai: Das läuft also, wenn man die Gebiete zwischen den Lagern erkundet.

Kai: Und mir ging es bei diesem Musikstück vor allem darum, so ein gewisses Spektrum

Kai: aufzuspannen und quasi dieses emotionale Terrain einmal abzustecken,

Kai: in dem sich das Spiel bewegt.

Kai: Wir sind in einer Gefängniskolonie, die ist riesig und weitläufig,

Kai: aber trotzdem ja auch irgendwie so fast unter so einer erdrückenden Last dieser

Kai: magischen Barriere eingesperrt.

Kai: Das heißt, eine emotionale Skala könnte von Bedrückung und Einigung auf der

Kai: einen Seite hin zu Freiheit und Exploration und Größe und Weite auf der anderen Seite gehen.

Kai: Und die Musik schwankt dementsprechend immer so ein bisschen zwischen bedrückend,

Kai: bedrohlich auf der einen Seite und einladend, hoffnungsvoll,

Kai: frei, weit auf der anderen Seite.

Kai: Direkt am Anfang alterniert dieses

Kai: Musikstück also in den Harmonien immer abwechselnd zwischen Dur und Moll,

Kai: legt sich also nicht so richtig fest, ob es den Spieler jetzt angesichts dieser

Kai: harschen Gefängniswelt eher einschüchtern möchte oder eher zum Erkunden einladen

Kai: will. Hören wir mal rein.

Kai: Moll, Dur, dann wieder Moll und wieder Dur und so weiter.

Kai: Und diese Ambivalenz im quasi emotionalen Grundton ermöglicht es den Spielenden

Kai: dann einerseits das Idyll der Landschaft zu genießen und musikalisch entsprechend

Kai: dann auch unter Mahl zu bekommen, sich aber dennoch auch stets der allgegenwärtigen

Kai: Bedrohung bewusst zu bleiben.

Kai: Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wie klein oder groß ein Musikstück wirken soll.

Kai: Zum Beispiel sind Musikstücke für enge Dungeons eher klein instrumentiert,

Kai: sollen ein beklemmendes Gefühl vermitteln, während dieses Oberweltmusikstück,

Kai: also für uns heißt die gesamte Außenwelt zwischen den Lagern,

Kai: die hieß damals einfach Oberwelt,

Kai: die soll sich offen, weitläufig und vielseitig anhören.

Kai: Dazu habe ich mich dann einiger Kniffe bedient. Die technischen Möglichkeiten

Kai: im Direct Music Producer, mit dem ich ja die Musik damals erschaffen musste,

Kai: die waren jetzt sehr eingeschränkt.

Kai: Ich habe aber trotzdem versucht, der Musik eine gewisse hörbare Weite zu geben.

Kai: Im Mix wird zum Beispiel nicht nur das komplette Stereospektrum ausgenutzt.

Kai: Das heißt, im Mix werden Instrumente jetzt nicht nur so ein bisschen nach links

Kai: und rechts geschoben, sondern man hat auch so ein bisschen das Gefühl der Ausdehnung

Kai: in die Tiefe, sodass zum Beispiel manche Sachen näher dranklingen.

Kai: Sie haben dann weniger Raumhall.

Kai: Andere klingen so, als würden sie in den hinteren Reihen des Orchesters verortet

Kai: sein und kommen dann entsprechend halliger und so ein bisschen von weiter weg

Kai: bei den virtuellen Ohren an.

Kai: Und das Ganze im Mix schafft dann einen akustischen Raum, der hörbar recht groß ist.

Kai: In dem Beispiel, was ich jetzt im Hintergrund spiele, ist zum Beispiel die Harfe

Kai: ziemlich weit vorne links und die zittrigen Tremolo-Streicher sind weiter rechts hinten.

Kai: Und so hat man dann sozusagen sowohl von links nach rechts als auch von vorne

Kai: nach hinten so ein bisschen den Raum aufgespannt.

Kai: Im Übrigen wechselt das Musikstück auch ständig zwischen Dreivierteltakt und

Kai: Viervierteltakt hin und her.

Kai: Achtet hier mal auf den Übergang. Wir kommen aus einer Vierviertelpassage in

Kai: einen Dreiviertelteil.

Kai: 1, 2, 3, 4 1, 2, 3, 4 Pause 1, 2, 3 1, 2, 3 1, 2, 3,

Kai: Mir war bewusst, dass man dieses Musikstück beim Spielen lange und häufig hören wird.

Kai: Deshalb wollte ich es so abwechslungsreich wie möglich gestalten und hielt es

Kai: sogar für sinnvoll, die grundlegende Rhythmik regelmäßig zu ändern,

Kai: damit man sich nicht so schnell satt hört.

Kai: Es gibt sogar Passagen, die regelrecht arhythmisch klingen, um das rhythmische

Kai: Raster immer wieder zu durchbrechen.

Kai: Versucht beim folgenden Schnipsel mal zu erkennen, um welches Taktmuster es sich handelt.

Kai: Gar nicht so leicht, sich da zu orientieren. Dadurch verhindere ich,

Kai: dass die Musik in einen sich ständig wiederholenden Trott verfällt.

Kai: Ich hatte ja schon erwähnt, dass der Direct Music Producer es auch ermöglicht,

Kai: verschiedene musikalische Puzzleteile immer wieder so neu zu rekombinieren,

Kai: um noch mehr Abwechslung zu generieren.

Kai: Hier hört man zum Beispiel jetzt dreimal hintereinander den exakt gleichen Part,

Kai: so nennt man im Direct Music Producer eine kleine atomare Musikeinheit.

Kai: Die Melodie ist aber in einem Part gar nicht vorhanden oder in einer Variation

Kai: dieses Parts gar nicht vorhanden.

Kai: In den anderen beiden Parts ist sie aber jeweils abgewandelt unterschiedlich.

Kai: Variante 1 ohne Melodie.

Kai: Variante 2 mit Melodie.

Kai: Variante 3 mit abgewandelter Melodie,

Kai: Das ist innerhalb der Logik des Direct Music Producers immer der gleiche Part

Kai: und in welcher Reihenfolge man diese Variation nun im Spiel hört,

Kai: ist dem Zufall überlassen.

Kai: Auch das sorgt dafür, dass die Musik weniger vorhersehbar und dadurch abwechslungsreicher wirkt.

Kai: Ein letzter Gedanke, den ich mit euch teilen möchte, betrifft die Instrumentierung.

Kai: Diese Oberweltmusik begleitet ja Spielsituationen in der freien Natur.

Kai: Dementsprechend natürlich und authentisch soll die Musik auch klingen.

Kai: Meine virtuellen Instrumente wie die Streicher und Bläser klingen aber teilweise sehr synthetisch.

Kai: Deshalb habe ich mich damals auch auf die Suche nach Elementen gemacht,

Kai: die einfach echt klingen, um diese in der Musik hineinzumischen und sie dadurch

Kai: in der echten, natürlichen Welt zu verankern.

Kai: Andere Musikstücke im Gothic-Soundtrack klingen bewusst artifiziell und nutzen

Kai: vordergründig synthetische Elemente, aber in diesem Fall ging es mir um einen natürlichen Klang.

Kai: Hier mal ein paar Beispiele für Samples, die ich wie Gewürze in diese synthetische.

Kai: Musiksuppe gemischt habe, um ihr einen natürlichen Geschmack zu geben.

Kai: Die stammen jetzt übrigens alle, für die dies genau wissen wollen,

Kai: von einer Library, die es glaube ich gar nicht mehr zu kaufen gibt,

Kai: nämlich Heart of Africa von Spectrosonics.

Kai: Und nun hier wie versprochen das Musikstück ohne Unterbrechung.

Kai: Ich kann ja nicht von in voller Länge sprechen, da die Musik ja zufällig zusammengesetzt

Kai: wird und es theoretisch immer wieder neue Varianten geben kann.

Kai: Aber zumindest hören wir mal ungestört eine Weile rein.

Chris: Der ungeliebte Direct-Music-Producer, mit dem Kai viel zu kämpfen hat,

Chris: führt einerseits zu den ganzen Variationen innerhalb eines Lieds.

Chris: Er hat aber andererseits auch noch einen zweiten Mehrwert.

Chris: Weil die Stücke aus flexiblen Bausteinen bestehen, kann man sie ineinander übergehen

Chris: lassen und also dynamische Übergänge schaffen.

Kai: Das ist der große Vorteil und auch der große Vorteil der Musik von Gothic 1

Kai: und 2 gegenüber allen weiteren Soundtracks, die ich komponiert habe.

Kai: Dass es eben genau diesen interaktiven, adaptiven Ansatz auf die Spitze getrieben hat.

Kai: Selbst wenn der Spieler nichts gemacht hat und einfach nur rumgestanden hat,

Kai: hat die Musik sich immer wieder neu arrangiert.

Kai: Und wenn ich jetzt zum Beispiel das Schwert ziehe oder in eine andere Location

Kai: gehe, dann werden entsprechende musikalische Brücken geschlagen.

Kai: Also es wird wirklich ein kleines Notenmaterial eingefügt zwischen dem Stück

Kai: davor und dem Stück danach.

Kai: Und auch da kann man jetzt wieder Regeln hinterlegen, wenn ich von A nach B

Kai: kommen möchte, welches ist dann die beste Transition dazwischen.

Kai: Und dann geht eben das Musikstück B los und das randomisiert dann auch wieder

Kai: vor sich hin mit den verschiedenen Instrumentenvariationen.

Kai: Es hat mich wirklich Kopfschmerzen gekostet. Ich bin tatsächlich auch mit großer

Kai: Freude dann bei Gothic 3 auf das neue Musiksystem rübergewechselt.

Kai: Aber natürlich weint man diesen Möglichkeiten der Interaktivität schon so ein

Kai: bisschen die ein oder andere Träne hinterher.

Kai: In den alten LucasArts Adventures gab es sowas auch mit diesem Almuse-System,

Kai: dass die wirklich auch so musikalische Brücken geschlagen haben.

Kai: Aber in dem Genre, in dem ich jetzt unterwegs bin, habe ich das sonst auch in

Kai: keinem anderen Spiel in der Form so gesehen und erlebt.

Chris: Kais Auftraggeber und zentraler Ansprechpartner für die Musik in Gothic ist

Chris: Mike Hoge, der Chefdesigner im Team von Piranha Bytes.

Chris: Mit ihm spricht Kai die Anforderungen ab, arbeitet dann ein Musikstück aus und

Chris: legt es ihm dann wieder vor.

Chris: Das läuft anfangs nicht so gut.

Kai: Zu dem Zeitpunkt habe ich noch den großen Fehler gemacht, der hat mich auch

Kai: sehr lange begleitet in meiner Karriere, dass ich dann versucht habe,

Kai: wirklich ein fertiges Musikstück zu machen,

Kai: damit ich, wenn ich dann bei Mike sitze und ihm das vorspiele,

Kai: nicht noch dazu erklären muss, was alles sich noch ändern wird in meinem Kopf,

Kai: sondern dass es schon für sich spricht.

Kai: Und habe dementsprechend viel Zeit investiert, schon Ideen zu polishen,

Kai: bevor ich sie präsentiere.

Kai: Und Mike, der hat ja eine faszinierend ehrliche, aber doch irgendwie charmante

Kai: Art, einem Feedback zu geben.

Kai: Also wenn er das nicht mag, dann spürst du das auch, aber kannst es ihm trotzdem nicht übel nehmen.

Kai: Ich weiß nicht, wie er das macht. Habe ich auch noch nie seitdem so erlebt bei jemandem.

Kai: Also selbst wenn er sagt, das ist völlig scheiße,

Kai: Ist das irgendwie okay? Weil du weißt, er hat das für sich in seinen Kopf,

Kai: in sein Bild, in seine Vision eingefügt und hat sich das vorgestellt,

Kai: wie das im Spiel wirkt und hat festgestellt, das passt nicht zu seiner Vision.

Kai: Und dann ist es halt so, dann muss ich das halt nochmal ändern.

Kai: Und das hat für mich auch ein paar Jahre gebraucht, um dann zu dem Modus zu kommen,

Kai: erstmal kleine Ideen nur so als Skizze anzufertigen, als musikalische Skizze,

Kai: dann schon mit ihm zu kommunizieren, auch wenn es noch nicht perfekt ist und

Kai: noch nicht ausgearbeitet ist,

Kai: aber dann schon früh dieses Feedback einzuholen und dann eben weiter zu iterieren.

Kai: Habe ich mich an ihm abgerieben und das dadurch gelernt.

Chris: Zum Lernen gehört auch, dass sich Kai darauf einstellen muss,

Chris: wenn sich das Spiel verändert.

Chris: Und das tut es im Laufe der mehr als drei Jahre Entwicklungszeit mehrfach.

Chris: Ein Beispiel. Relativ spät in der Entwicklung ergibt sich für Piranha Bytes

Chris: eine Kooperation mit der deutschen Mittelalterband in Extremo.

Chris: Es wird beschlossen, dass die Musiker als 3D-Figuren im alten Lager auftreten

Chris: sollen, also in einem der bewohnten Orte im Spiel, und dort ein Lied singen und spielen.

Chris: Darauf hat Kai zunächst mal keinen Einfluss.

Kai: Nein, also ich hatte mit der Aufnahme der Musik nichts zu tun.

Kai: Das hat InExtremo auch komplett selber gemacht.

Kai: Das haben die für uns so vorbereitet und mit ihrem Label so abgestimmt.

Kai: Ich war dabei, als wir im, ich glaube HZO hieß es, in Oberhausen die Motion

Kai: Capture Aufnahmen mit InExtremo gemacht haben.

Kai: Und ich habe es natürlich hinterher technisch implementiert.

Kai: Weil ich musste das jetzt irgendwie in den Direct Music Producer reinholen,

Kai: damit es über das gleiche System läuft.

Kai: Das ist ein Stück, das aus einem langen Sample besteht, das aber ansonsten in

Kai: der gleichen technischen Umgebung lebt wie die andere Musik auch.

Chris: Nun ist das zwar ein sehr schönes Stück, aber Gesang kommt in Kai's Soundtrack

Chris: bisher gar nicht vor und auch stilistisch ist der In Extremo-Song ein gewisser Fremdkörper. Was tun?

Chris: Nun, worauf Kai Einfluss hat, ist seine eigene Musik, nämlich in dem Fall die

Chris: des alten Lagers, in dem der Band auftritt, stattfindet.

Chris: Und dieses Stück, das im fertigen Gothic dann im alten Lager läuft,

Chris: nimmt Kai für uns jetzt genauer unter die Lupe.

Kai: So, als nächstes befinden wir uns nun musikalisch im alten Lager.

Kai: Hier sitzen die mächtigen Erzbaronen in einer Burg, die von einem Außenring

Kai: aus schlichten Holzhütten umgeben ist. Die Musik, um die es jetzt gehen soll,

Kai: ist für den Außenring gedacht.

Kai: Das hier ist ein kurzer Auszug aus diesem Musikstück.

Kai: Für das alte Lager hatte ich etliche Musikvariationen gemacht,

Kai: bis dann irgendwann klar war, dass in Extremo ein Konzert im Alten Lager geben

Kai: und dort die schwedische Mittelalterballade Herr Manelich darbieten wird.

Kai: Deshalb setzte ich mir in den Kopf, diesem Auftritt einen musikalischen Rahmen

Kai: zu geben und die Musik des Alten Lagers an Herr Manelich anzulehnen.

Kai: Ich wollte die Melodie aber nicht eins zu eins nachmachen, deshalb habe ich

Kai: sie leicht abgewandelt. Sie ist natürlich immer noch gut erkennbar,

Kai: aber eben nicht identisch.

Kai: Das hier ist die Originalmelodie von Herr Manelich.

Kai: Und das ist die abgewandelte Form, die man in meinem Soundtrack zum alten Lager zu hören bekommt.

Kai: Dieser etwas beschwingte mittelalterliche Style erschien mir sehr passend für

Kai: den Außenring, in dem ja zuweilen recht viel los ist.

Kai: Auch hier sollte aber die Melancholie und allgegenwärtige Unterdrückung hörbar

Kai: werden, weshalb die Hermannelich-Hommage immer wieder unterbrochen wird von

Kai: bedrohlichen Teilen wie diesem hier.

Kai: Außerdem schmiegt sich der Außenring ja an die Burgmauer und diese neben die

Kai: emporragenden Mauern der inneren Burg wollte ich auch irgendwie in der Musik aufgreifen.

Kai: Ich gab dem Revier der Erzbarone einen militärischen Anstrich und entschied

Kai: mich für fanfarenartige Bläserpassagen und Snare-Drums, um die Präsenz der Burg

Kai: zum Ausdruck zu bringen. Das klingt dann so.

Kai: Auch hier im alten Lager machte ich mir wieder das Prinzip der Zufallsvariationen zunutze.

Kai: Die folgenden drei Varianten sind wieder der gleiche Part, der nur jedes Mal

Kai: eine zufällige Harfenbegleitung mit einem anderen zufälligen Melodieinstrument mischt.

Kai: Variation 1 ohne Melodieinstrumente,

Kai: Variation 2 mit zwei Blasinstrumenten.

Kai: Variation 3 mit einem anderen Bläsermotiv.

Kai: Und noch eine Variation mit nochmal anderen Bläsern.

Kai: Das Ganze gibt es dann auch nochmal in einer anderen Tonart für noch mehr Variationen.

Kai: Hier eine Variation mit Streichern im Vordergrund.

Kai: Und diesmal variieren wir den Hintergrund, nämlich die Melodie der Harfe.

Kai: Jetzt ganz ohne Melodie Instrument, dafür aber mit Snaredrums.

Kai: Jetzt mit Streichern, Bläsern und Snaredrums.

Kai: Und für die Bläser gibt es dann auch noch mal alternative Motive.

Kai: Auch hier gilt wieder, technisch gesehen ist das alles der gleiche Part.

Kai: In diesem Part sind diese unterschiedlichen Elemente jeweils mit Zufallsvariation

Kai: hinterlegt, die dann im Spiel laufend neu rekombiniert werden.

Kai: Daraus ergibt sich aus relativ wenig musikalischem Material dann doch ein Soundtrack,

Kai: der abwechslungsreich bleibt und nicht langweilig wird.

Chris: Wir hatten es gerade schon von Kai gehört. Er hatte für das alte Lager mehrere

Chris: Musikstücke geschrieben, bevor dann die finale Fassung in Anlehnung an Herr Mannelich entstand.

Chris: Diese Versionen sind erhalten geblieben, denn Kai hat sie vor einigen Jahren

Chris: der Gothic-Community zur Verfügung gestellt, zusammen mit mehr als drei Dutzend

Chris: teils vorläufigen, teils nie verwendeten Liedern aus der Alpha- und Beta-Phase des Spiels.

Chris: So hätte das alte Lager ursprünglich mal klingen sollen.

Chris: Nun müssen wir noch mal zur Technik zurückkehren. Denn da Kai die Musik im Direct

Chris: Music Producer zusammengebaut hat, besteht sie nicht nur aus einzelnen Arrangement-Bausteinen,

Chris: sondern auch aus einzelnen Instrumenten.

Chris: Und die müssen ja irgendwo herkommen.

Kai: Also 90 Prozent, würde ich sagen, des Sample-Materials sind Orchester-Instrumente

Kai: gewesen, die man so als virtuelle Instrumente kaufen kann, die ich dann nicht

Kai: eins zu eins verwenden konnte.

Kai: Das darf man auch gar nicht. sondern ich habe sie dann schon zum Beispiel zusammengefasst, gelayert.

Kai: Also wenn ich zum Beispiel jetzt eine Violine, eine Bratsche,

Kai: einen Cello und einen Kontrabass als virtuelle Instrumente gekauft habe,

Kai: dann habe ich Cello und Kontrabass und Violine und Bratsche schon zusammengefasst.

Kai: Das war auch notwendig, weil ich durfte, glaube ich, insgesamt nur 120 MB für

Kai: das komplette virtuelle Orchester benutzen, wenn ich mich jetzt nicht vertue.

Kai: Das heißt, ich musste auch ganz viel zusammenfassen. Dann habe ich aus diesen

Kai: existierenden virtuellen Instrumenten

Kai: meine eigenen virtuellen Instrumente geremixed, habe ganz viel gekürzt.

Kai: Also da, wo in dem Originalinstrument, wenn ich jetzt einen Ton anschlage und

Kai: halte für 10 Sekunden, ich wirklich ein 10 Sekunden Audio Sample abgespielt

Kai: habe, war meins halt nur 3 Sekunden lang und hat dann relativ schnell geloopt,

Kai: auch wieder aus Platzgründen.

Kai: Aber die Originalaufnahmen von dem Orchester tauchten darin noch auf.

Kai: Und die anderen 10% sind von mir selbst gespielte Instrumente,

Kai: zum Beispiel die Gitarre habe ich live eingespielt,

Kai: Percussion Samples habe ich live eingespielt.

Kai: Eine Mutter Monika hatte ich live eingespielt, eine Maultrommel und so Sachen,

Kai: die ich halt so noch rumliegen hatte bei mir, eine Rassel glaube ich,

Kai: teilweise meine eigene Stimme für einzelne Musikstücke.

Kai: Und daraus hat sich dann dieses 120 MB große Gothic-Orchester zusammengesetzt.

Chris: Ich wollte an dieser Stelle Beispiele für die Mundharmonika und die Maultrommel

Chris: einspielen, die Kai gerade aufgezählt hat.

Chris: Das sind ja beides prägnante Instrumente.

Chris: Also habe ich mich im Direct Music Producer durch die Instrumentendatei von

Chris: Gothic gewühlt und mich dann verzweifelt an Kai gewandt.

Chris: Du Kai, ich finde hier keine Mundharmonika und keine Maultrommel.

Chris: Und daraufhin sagte Kai, die Mundharmonika kam tatsächlich erst später dazu,

Chris: beim Soundtrack zum Gothic 2 Add-on Die Nacht des Raben. Da klingt sie dann so.

Chris: Und die Maultrommel, sagt Kai, die begleitet ihn bis heute.

Chris: Die liegt neben ihm auf dem Schreibtisch und die hatte er damals wirklich aufgenommen

Chris: und hatte eigentlich vor, sie in einer etwas tiefer gepitchten Variante für

Chris: die Musik des Sumpflagers einzusetzen.

Chris: Aber dann hat er sich am Ende dafür entschieden, sie doch durch einen synthetischen Sound zu ersetzen.

Chris: Aber, so sagt Kai, diese Maultrommel ist dann später noch in mehreren seiner

Chris: Soundtracks zu Ehren gekommen, zum Beispiel im Lernspiel Lilly und Leo von 2024.

Chris: Nun, und wenn Kai während der Entwicklung von Gothic Instrumente für seine Musik

Chris: aufnehmen konnte, dann konnte er natürlich auch Klänge für die Soundeffekte

Chris: des Spiels aufnehmen, denn auch für die war Kai zuständig.

Kai: Bei den Soundeffekten ist das Verhältnis auch ungefähr 90% zu 10%.

Kai: 90% bestehen aus käuflich erwerblichen Libraries, Sound Libraries.

Kai: Da habe ich wirklich, also ich würde jetzt mal schätzen, 80 CDs oder mehr,

Kai: 100 CDs mit Sound Libraries im Büro gehabt.

Kai: Tom hatte irgendwann mal so einen günstigen Fang gemacht und von Sound Ideas

Kai: The General 6000 gekauft.

Kai: Das sind allein 40 CDs mit Sound Effekten.

Kai: Dann habe ich irgendwie noch einige Sound Libraries dazu gekauft.

Kai: Daraus bestehen 90 Prozent und auch da sind wieder 10 Prozent selbst aufgenommen.

Kai: Im Bereich Foley, also so Rüstungsklappern, Klamottengeräusche,

Kai: Schmatzen, Beißen, also in Äpfel und sowas reinbeißen. Solche Sachen habe ich

Kai: dann auch selber aufgenommen.

Kai: Und für die Magie-Effekte und für die Kreatur-Sounds habe ich auch einige Sachen selber aufgenommen.

Kai: Ins Mikro gebrüllt und gegrunzt und alles mögliche merkwürdige Zombie-Geräusche gemacht.

Kai: Das habe ich seitdem auch immer wieder gemacht. Also bei den Kreaturen,

Kai: in allen Spielen, für die ich die Soundeffekte gemacht habe,

Kai: hört man immer auch eine ganze Menge Kai mit.

Chris: Die Klänge, die Kai für die Musik von Gothic verwendet, basieren meistens auf

Chris: echten Instrumenten, aber nicht immer.

Chris: Denn Kai klebt für Gothic nicht dogmatisch am Orchestersound,

Chris: sondern wählt die Instrumentierung so, dass sie zu der Stimmung passt,

Chris: die er rüberbringen möchte.

Chris: Das zeigt sich gut an der Musik des neuen Lagers. Und auch hier schildert uns

Chris: Kai nochmal selbst, wie die entstanden ist und wie sie sich zusammensetzt.

Kai: Okay, hören wir als nächstes mal rein in das neue Lager, genau gesagt in die Wohnhöhle.

Kai: Und hier gibt es von mir gleich zu Beginn mein kleines Geständnis.

Kai: Die ersten paar Sekunden meines Musikthemas für die Wohnhöhle sind doch sehr

Kai: eng angelehnt an einen Soundtrack, den ich damals gehört hatte und bei dem ich

Kai: sofort das Gefühl hatte, dass es passen könnte.

Kai: Ein paar Jahre zuvor war der Film The Rock erschienen und ich hatte mir den

Kai: Soundtrack auf CD gekauft.

Kai: Der Anfang des Stücks Hummelgast the Rockets mit seinem modernen,

Kai: mysteriösen, aber auch irgendwie warmen Sound ging mir als Idee für das neue

Kai: Lager dann einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Kai: Jedenfalls bemühte ich mich damals,

Kai: diesen modernen Touch innerhalb meiner Gothic-Stilwelt zu adaptieren.

Kai: Melodie und Harmonie ersetzte ich dann aber natürlich durch eigene Ideen.

Kai: Neben einem virtuellen E-Bass und einem etwas verrückten Percussion-Mix kommen

Kai: in diesem Musikstück auch ganz vordergründig synthetische Elemente zum Einsatz. Hier zum Beispiel.

Kai: Ich hatte mich bei der Gestaltung meines virtuellen Gothic-Orchesters bis dahin

Kai: hauptsächlich aus Sample-Libraries bedient und einzelne Instrumente und Percussions

Kai: live aufgenommen, aber nicht wirklich mit einem Sampler-Keyboard gearbeitet.

Kai: Ich bekam aber immer wieder Besuch von Stefan Heinemann, der zu diesem Zeitpunkt

Kai: im gleichen Bürogebäude saß und später auch zur Phenomedia AG gehörte.

Kai: Und Stefan hatte eine eigene Musikproduktionsfirma gegründet.

Kai: Von ihm bekam ich dann irgendwann das Q2K2000-Keyboard ausgeliehen.

Kai: Ich habe dann sofort angefangen, einige Sounds davon auch selbst zu samplen

Kai: und meiner Instrumentenbibliothek für Gothic hinzuzufügen.

Kai: Und so kam dann auch dieser verrückte Sound zustande aus dem letzten Audiobeispiel.

Kai: Im neuen Lager gibt es mehrere Musikstücke, je nach Gebiet, und dieses Thema

Kai: für die Wohnhöhle ist eigentlich insgesamt viel zu kurz.

Kai: Im Spiel wird es dann noch etwas gestreckt durch so stehende Klangflächen zwischendurch,

Kai: aber im Großen und Ganzen sind die folgenden 50 Sekunden oder so auch schon

Kai: alles, was die Wohnhöhle musikalisch zu bieten hatte.

Kai: Ich wollte dieses Beispiel aber trotzdem mit aufnehmen, um euch diese kleinen

Kai: Anekdote über den The Rock Soundtrack erzählen zu können. Naja,

Kai: hier nun der musikalische Ausflug ins neue Lager und diesmal wirklich in voller Länge.

Chris: Was am Ende dabei herausgekommen ist, ist ein Soundtrack, der die Stimmung der

Chris: Spielwelt von Gothic spiegelt.

Chris: Diese Welt ist rau, schmutzig, die Menschen sind direkt und hart und manchmal

Chris: brutal und es wird viel gekämpft.

Chris: Man könnte denken, dass die Musik auch so sein müsste.

Chris: Laut und aggressiv, ein Rumsbums-Soundtrack mit Fantasy-Pauken und großem Orchester.

Chris: Aber das Gegenteil ist der Fall. Fast scheint es, als würde die Musik angesichts

Chris: der harschen Realität im Minental frösteln und bedrückt auf die Welt blicken,

Chris: als würde sie nach Momenten der Schönheit suchen, ohne jemals der fortwährenden

Chris: Anspannung entkommen zu können, die selbst in ruhigen Momenten über dem Minental

Chris: lastet. Warum ist das so?

Kai: Es stecken in diesem Emotionspaket, das Gothic 1 ausmacht, ja ganz viele Emotionen drin, die ruhiger sind.

Kai: Die Melancholie taucht darin auf, diese Hoffnungslosigkeit, die Unterdrückung, die latente Gefahr.

Kai: Das ist ja nicht so, dass ich die ganze Zeit kämpfe, sondern ich spüre die ganze Zeit die Bedrohung.

Kai: Und das ist was anderes, auch in der musikalischen Übersetzung was anderes.

Kai: Das heißt, in der Hälfte, die auf die Interpretation des Kerns von Gothic abzielt,

Kai: da habe ich mich dann dafür entschieden, eher diese unterschwelligen Töne anzuschlagen.

Kai: Also unterschwellig, melancholisch, bedrohlich, ablehnend irgendwie,

Kai: aber nicht so in your face.

Kai: Dann gibt es noch die zweite Hälfte. Das ist die Hälfte, welche Rolle soll die

Kai: Musik im Spiel spielen? Welche Funktionen sollen sie erfüllen?

Kai: Und sie soll natürlich die Emotionen transportieren, aber sie soll auch als

Kai: Hintergrundmusik funktionieren.

Kai: Also im Sinne von den Spielern in der Immersion unterstützen und ihn nicht aus

Kai: seiner Immersion rausreißen.

Kai: Was zum Beispiel passieren würde, wenn man eigentlich eine ruhige Spielsituation gerade hat.

Kai: Man läuft einfach nur durch den Wald, aber die Musik drängt sich auf mit vordergründigen,

Kai: zu dicht arrangierten Melodien.

Kai: Dementsprechend muss die Musik als Hintergrundmusik, als teilweise seichte Musik

Kai: funktionieren und den Spieler immer wieder so ein bisschen emotional begleiten,

Kai: ohne ihn aus seiner Versenkung in dieses Spiel rauszureißen.

Chris: Das ist gar nicht so leicht, wie Kai dann in den folgenden Spielen selber feststellen muss.

Kai: Ein gutes Beispiel dafür, wie einem das nicht so gut gelingen kann, ist Gothic 3.

Kai: Was musikalisch, sag ich mal rein von der kompositorischen Qualität her und

Kai: von den Arrangements her und dem Sound, weil es ja dann mit dem Orchester aufgenommen

Kai: wurde, ein Upgrade ist, quasi ein Level Up gegenüber Gothic 1 und 2.

Kai: Aber was diese Funktion als begleitendes Element angeht, hat Gothic 3 überhaupt

Kai: nicht gut funktioniert. Es war viel zu vordergründig teilweise.

Kai: So sehr, dass es zwar immer wieder gesagt hat, das ist jetzt die Emotion,

Kai: die du jetzt bitte spüren sollst, lieber Spieler.

Kai: Aber das hat diese Musik so laut und so aufdringlich gesagt,

Kai: dass es dadurch eher die Version teilweise gebrochen hat, als sie zu unterstützen.

Kai: Mal von dem Bug mit der Kampfmusik abgesehen, dass immer die gleiche Kampfmusik

Kai: gespielt wurde und auch immer an der gleichen Stelle angesetzt wurde.

Kai: War die Musik an sich zu vordergründig.

Kai: Bis ich dann bei Risen 1 gesagt habe, okay, zwei Stufen zurückschalten,

Kai: dann ist die Risen 1 Musik quasi eine Meditations-CD geworden.

Kai: Also da bin ich wieder ins komplette Gegenteil übergeschlagen.

Kai: Und so habe ich halt versucht, den richtigen Mittelweg zu finden über die Jahre hinweg.

Chris: Und das sind jetzt auch schon 28 Jahre, seit der 17-jährige Kai Rosenkranz angefangen

Chris: hat in Bochum an der Musik von Gothic zu arbeiten.

Chris: 28 Jahre, in denen viele weitere Soundtracks von ihm entstanden sind,

Chris: die nicht nur die Gothic-Serie geprägt haben, sondern auch andere Spiele und Marken.

Chris: Aber Gothic lässt Kai nicht los. Zu dem Zeitpunkt, wo diese Folge hier entstanden

Chris: ist, arbeitet er gerade an der Musik für das Gothic-Remake, das 2025 erscheinen soll.

Chris: Da kehrt er dann zu den bekannten Orten und Motiven zurück, Zum Beispiel ins

Chris: neue Lager, das im Remake dann so klingen wird.

Chris: Gleichzeitig vertraut und bedrohlich, wie Gothic-Fans es kennen und lieben. Es klingt nach zu Hause.